Am anderen Ende der Welt – Zu Gast auf den Banda Inseln

„Alle Zeit, die nicht mit dem Herzen wahrgenommen wird, ist so verloren, wie die Farben des Regenbogens für einen Blinden oder das Lied eines Vogels für einen Tauben.“

Meister Hora in Momo, Michael Ende

Wie die Vögel zieht es mich in den Süden, wenn der Sommer vergeht, wie den Matrosen zieht es mich raus in die Welt. Dieses Mal führt mich mein innerer Kompass auf eine ganz besondere Insel. Beim Anflug auf Ambon, die Hauptstadt der Mollukken, ist kaum zu unterscheiden, wo der Himmel aufhört und wo das Meer anfängt. Soweit das Auge blickt sieht man nichts als Blau, auch kurz vor der Landung ist die Insel noch nicht zu sehen. Verrückterweise fühlt sich dieser Landeanflug irgendwie nach Heimkehr an. Eine Fährfahrt später bin ich endlich da.

Von der Moschee am anderen Ufer tönt das bald so vertraute 18-Uhr-Gemurmel des Muezzins. Ich sitze auf der Terrasse vor meinem Bungalow und beobachte, wie sich das Dunkel langsam über die Stadt legt. Über den bunten Häusern an der Wasserkante thront zwischen Palmen das renovierte ehemalige holländische Fort „Benteng Belgica“. Ab und zu ertönt das Knackern eines Motorboots und wenn das Gebet verstummt, wird man den Chor der Geckos und Grillen wieder hören. Die Hitze drückt, heute geht leider kaum ein Lüftchen. Bald spiegeln sich die Straßenlaternen im Wasser und es kehrt Ruhe ein. Ich bin auf Bandaneira. Ein Traum wird wahr.

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Seit ein paar Tagen schon lasse ich mich hier treiben. Ich schlendere durch die Stadt, grüße Alt und Jung und spreche mit jedem der etwas Englisch kann. Das sind nicht viele, dafür können einige sehr gut Englisch – Abba zum Beispiel. Abba gehört das Cilu Bintang, das beste Hotel am Platz und er ist Geschäftsmann durch und durch. Vor allem aber ist er offen und neugierig und freut sich über jeden, der „seine“ kleine Insel besucht. Abba organisiert Schnorcheltrips und andere Ausflüge, und manchmal komme ich mit. Da ich allein hier bin und ich aber höchst ungern alleine schnorchele, sind seine Ausflüge stets eine super Gelegenheit für mich. Dabei lerne ich auch immer wieder andere Reisende kennen. Hier auf den Bandas kennen sich schnell alle – die Inseln sind nicht groß und man läuft sich ständig über den Weg. Die meisten hier sind Taucher, sie kommen um die Hammerhai Schulen oder die besonderen Moränen zu sehen. Aber einige tauchen ebenfalls nicht und beobachten das bunte Treiben im Meer nur von oben, so wie ich. Die Unterwasserwelt hier ist atemberaubend. Das Meer ist türkisgrün, die Fische leuchten in allen Farben und Formen und neben zahlreichen Schildkröten gibt es hier auch Delphine und Wale zu sehen. Die Korallenwälder muten wie bunte außerirdische Landschaften auf fernen Planten an. Man fühlt sich wie in einem Aquarium.

Benteng Belgica
Benteng Belgica

Als ich meinen Freunden erzählte, dass ich auf die Bandas fliege, schauten viele mich fragend an. Auch von den Mollukken, die Provinz bzw. Inselgruppe, zu der die Banda Inseln gehören hat keiner bisher gehört. Dabei haben diese Inseln, die heute kaum jemand kennt und die auf vielen Karten nicht mal eingezeichnet sind, einmal eine wichtige Rolle in der Weltgeschichte gespielt. Kaum zu glauben, wenn man jetzt hier sitzt. Die sogenannten Banda-Inseln, auch als Gewürzinseln bekannt, sind der Ursprungsort der Muskatnuss. Früher wuchs das begehrte Gewürz nur hier – die Pflanzen reagieren sehr empfindlich auf Boden und Klima. Schon immer als Gewürz begehrt, begann bald ein unvergleichlicher kolonialer Kampf um diese kleine Inselgruppe, als Ärzte in ganz Europa behaupteten, die Muskatnuss heile die Pest. Lange hatten die Venizianer den Handel kontrolliert, die die wertvollen Nüsse in Istanbul den asiatischen Händlern abkauften. Bald drauf besetzten die Portugiesen die Inseln. Nicht viel später vertrieben die Holländer die Portugiesen und töteten fast die vollständige Ur-Bevölkerung der Bandas in einem furchtbaren Gemetzel. Nur wenige Ureinwohner konnten auf die Kei Inseln fliehen. Fortan brachten die Holländer Sklaven von anderen indonesischen (damals indo-chinesischen) Inseln, rodeten die Inseln vollständig, um sie ausschließlich mit Gewürzbäumen zu bepflanzen und zwangen die Sklaven zur Pflege der Plantagen. Knapp zweihundert Jahre ging das so, bevor die Engländer versuchten sich die Inseln unter den Nagel zu reißen und die Franzosen in einer abenteuerlichen Mission ein paar Muskatnussbäume klauten, um sie auf Madagaskar anzupflanzen. Damals kosteten Muskatnüsse soviel wie Gold.

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Reife Muskatnüsse im Muskatnusspflückgerät

Heute ist der Preis der Nüsse stark gesunken. Die Heilkräfte des Muskat haben sich wohl nicht bestätigt. Aber die Inseln sind noch immer wie damals – tropisch, wunderschön und weit weg von allem anderen. Alles wächst hier von selbst, man muss dazu nicht viel tun, und alles andere wird mit den Schiffen regelmäßig geliefert. Die Leute leben von Gewürzanbau, Fischfang, Tourismus und bessern sich ihr Einkommen mit dem Aufsammeln von herunter gefallenen Muskatnüssen auf. Der Tourismus hier ist noch angenehm – etwa 3500 Menschen besuchen die Banda Inseln im Jahr. Nur ca. 500 Gäste können die Inseln gleichzeitig beherbergen. Und das ist ein Grund weshalb ich hier bin – die Abgeschiedenheit. Die Banda Inseln waren nie und sind auch heute nicht leicht zu erreichen. In der Hochsaison fliegt zwar zweimal in der Woche ein kleines 15-Mann-Flugzeug nach Banda Neira, und auch das Schnellboot kommt planmäßig zweimal in der Woche. Dazu fährt die Pelni-Fähre alle zwei Wochen. Aber wegen der unberechenbaren Strömungen rund um die Bandas und aufgrund des unvorhersehbaren Wetters werden sämtliche Transportmittel oft kurzfristig abgesagt oder bei zu viel Wind kann beispielsweise der Flieger nicht auf der atemberaubenden Landebahn landen. Man muss schon Lust auf Abenteuer haben, um hierher zu reisen.

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Aber es lohnt sich. In den kleinen Dörfern auf den fünf größeren Inseln Bandaneira, Banda Besar, Pulai Ai, Pulau Run und Pulau Hatta reiht sich ein bunt angestrichenes Haus an das andere. Da gibt es gelbe Türrahmen und lila Wände oder türkisfarbene Türen mit rosa Herzen. Die Leute streichen ihre Häuser jedes Jahr zu Ramadan neu an. Vor den Häusern liegen auf Tüchern ausgebreitet Gewürze zum trocknen: Muskatnüsse, Gewürznelken und manchmal das teure rote Fruchtfleisch, womit der Muskatnusskern überzogen ist, das man Muskatnussblüte nennt.

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Die Luft ist durchdrungen von den intensiven Gerüchen dieser wohlriechenden Gewürze. Zwischen den Häusern laufen Hühner, Hähne, Wachteln und Katzen frei herum, gelegentlich ist auch mal eine Ziege angeleint. Die Leute leben hier einfach, machen aber einen glücklichen Eindruck. Sie sitzen auf den Terrassen oder Stufen vor ihren Häusern und grüßen fröhlich, wenn Touristen vorüber gehen. Wenn sie etwas Englisch können sprechen Sie einen an. Ich glaube unglückliche Menschen haben meist nicht die Kraft freundlich zu Fremden zu sein.

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Nie ist man hier weit weg vom Meer, fast immer hört man es, meist sieht man es und immer riecht man es. Palmen und Kokosnüsse säumen weiße Sandstrände und vom gelegentlichen Muezzingesang abgesehen ist es hier sehr ruhig. Banda Neira, die Hauptinsel, ist mit ihren Geschäften und den in der Hauptsaison fast täglich ankommenden Touristen schon sehr geschäftig. Aber auch hier leben nur 3000 Bandanesen. Bananen, Avocados, Ananas, Durian, Auberginen und viele andere Früchte und Gemüse wachsen hier wild. Hier wird einem vor Augen geführt was wirklicher Überfluss ist, Überfluss der Erde. Dieser Ort ist gesegnet. Zu Essen gibt es meist Fisch (den hier sogar ich manchmal esse, den frischen Thunfisch zum Beispiel) und Gemüse und Reis. Und auch die Atmosphäre auf den Bandas ist sehr besonders. Da man sich ständig wieder über den Weg läuft, kennt man bald alle und jeden und fühlt sich ein bisschen wie auf einer Klassenfahrt, bei der sich die Klasse zwischendurch immer wieder in andere Kleingruppen aufteilt. Man trifft sich auf den anderen Inseln, beim Essen, auf den Booten. Manche sieht man tagelang nicht und wundert sich. Die wenigen Reisenden die sich hierher verirren sind freundlich zueinander. Zuweilen entsteht sogar eine spontane kleine Party, mit Gitarre und Ukulele werden die Klassiker der Musikwelt gesungen. Bob Marley-like singt der von anderen Blogs bekannte Yellow “No woman no cry” und “Ain’t no sunshine”. Selten fühlt sich das Leben so unbeschwert an.

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Schon ein paar Tage später fühle ich mich, als ob ich schon seit Wochen auf den Bandas bin. Ich kenne den Namen der Frau, die mir Pocari Sweat verkauft und den der Frau des Spice Cafes, wo ich meinen täglichen Muskutanusssaft trinke. Ich entscheide mich dafür, zwei Nächte auf der Insel Hatta zu verbringen. Die Entscheidung war schwer, weil alle drei zur Auswahl stehenden Inseln sehr schön sind – Ai, Run und Hatta. Bald sitze ich oben auf dem Dach eines Bootes, dass sich von Banda Neira durch die wogenden Wellen kämpft. Gelegentlich „hüpft“ das Boot und ich bekomme kurz Angst, dass ich ins Meer falle. Aber wäre das wirklich so schlimm? Ich kann ja schwimmen.

Die Insel Run
Die Insel Run

Um uns sind endlose Wassermassen, vor uns liegt die Insel Hatta. Wind und Wasser rauschen so laut, dass man sich kaum unterhalten kann. Trotzdem fragt mich der Bandanese neben mir, der unsere Schnorcheltour führt: „Your husband no like snorkeling?“. Für die Leute hier ist es unbegreiflich, dass ich mit 34 nicht verheiratet bin. In diesem Alter sind hier viele schon zum zweiten Mal verheiratet, die Kinder sind schon längst in der Schule. Ich bin nicht in der Laune ihm mein ganzes Leben zu erklären und antworte daher, ja, mein „husband“ schorchele nicht gern. Er nickt verständnisvoll, so als wolle er sagen „man muss ja nicht alles gemeinsam machen“. Ich denke bei mir, dass ich ja gar nicht weiß, ob das gelogen ist, vielleicht schnorchelt mein zukünftiger Ehemann ja tatsächlich nicht gerne. Als eine von ganz wenigen Frauen, die hierher alleine kommen, führe ich diese Art Konversation jeden Tag mehrfach. Für Männer und Frauen in vielen asiatischen Ländern ist gleichermaßen unverständlich, wie eine Frau alleine irgendwo entlang gehen, geschweige denn in ein fernes Land reisen kann. Außer mir sind hier fast nur Pärchen unterwegs – aller Jahrgänge. Überwiegend aber Pärchen ungefähr in meinem Alter. Und alle diese Pärchen beneide ich. Aber eines Abends treffe ich ein dänisches Traumpaar auf Hochzeitsreise. Als Hochzeitsreise reisen sie ein Jahr lang um die Welt. Ich implodiere fast vor Neid. Mühsam versuche ich dieses ekelhafte Gefühl zu unterdrücken. Da sitze ich am Ende der Welt, auf den wunderschönen Banda Inseln und ärgere mich, und fühle mich allein. Wobei allein bin ich hier eigentlich nie. Wie schon auf meinen letzten Reisen, auf denen ich mit dem Gefühl der Einsamkeit gekämpft habe, scheint das Universum sich vorgenommen zu haben, mir zu zeigen, dass ich eben nicht allein bin, selbst wenn ich alleine ans andere Ende der Welt fliege. Ich lerne tausend Leute kennen, und kenne schon fast jeden anderen Touristen und viele Einheimische in Banda Neira. Alle kümmern sich rührend um mich. Mit einem französischen Pärchen im Alter meiner Eltern und einem Australichen Pärchen im selben Alter rede ich darüber, wie es ist, mit Mitte Dreißig Single zu sein. Beide haben Töchter denen es genauso geht. Und am Ende bescheren mir diese Begegnungen eine Einladung nach La Rochelle, eine Einladung auf ein australisches Segelboot und eine kostenlose Schnorcheltour. Und statt neidisch zu sein, stelle ich mir jetzt einfach vor, dass ich diese Einladungen bald mit jemand Besonderem einlöse.

Auf Hatta angekommen schnorchele ich das Strandriff entlang als mir wieder einmal mulmig wird. In diesem Moment wird mir bewusst, dass ich mich als Eindringling fühle, als unerwünschter Spanner auf diese wundervolle farbenfrohe Unterwasserwelt, die nicht für Menschen gemacht ist. Und es stimmt ja, ich bin hier ein Eindringling. Sicher ist ein Teil meines Unwohlseins auf dieses Gefühl der Grenzüberschreitung zurück zu führen. Aber es gruselt mich auch, wenn ich das Riff herunter schaue, das unter mir meterweise steil hinab fällt und ich dort nichts mehr sehen kann, nur dunkles schwarzes Wasser. Was wohl darin lauert? Neben einer riesigen Moräne und einem noch riesigeren Büffelkopf Papageienfisch (eine bedrohte Art) sehe ich hier die wundervollen Weihnachtsbaumwürmer, unzählige wunderschöne Regenbogenfische und einen Barracuda.

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Die Holzbungalows auf Hatte sind einfach, mit Mandi (Eimerdusche) und überall Ritzen durch die jederzeit etwas durchkriechen könnte. Eine dieser riesigen bandanesischen Seidenspinnerspinnen zum Beispiel, befürchte ich. Mir wird versichert, die Spinnen verirren sich nicht in Häuser. Ich denke, dass es ja ein Mückennetz gibt. Dass das die Begegnung mit einer Handgroßen Spinne nicht weniger dramatisch macht, habe ich auf Lombok gelernt (lies mehr hier). Und zu meinem Entsetzen stelle ich fest, dass das Mückennetz relativ kurz ist und ich es nicht unter die Matratze stopfen kann, damit von unten nichts rein kriecht. Zwei Nächte wird das hoffentlich gut gehen. Von der Idee den Vulkan zu besteigen habe ich mich bereits verabschiedet, nachdem mir berichtet wurde, dass der nur etwa dreißig cm breite Pfad seitlich und quer über den Pfad mit zahlreichen achtbeinigen Monstern „dekoriert“ ist. Da schaue ich mir den Vulkan doch lieber von unten an. Spätestens seit einer Höhlenwanderung in Thailand (lies mehr hier), habe ich eingesehen, dass man nicht alles tun muss, nur weil man theoretisch könnte und andere Leute das spannend finden.

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Der Vulkan Gunung Api

Ein paar Tage später sitze ich auf der kleinen Veranda vor meinem Bungalow und sehe der Sonne beim untergehen zu. Das Meer rauscht und es geht eine laues Lüftchen. Es riecht nach Salz und Meer. Um die Palmen flattern ein paar kleine Fledermäuschen. Ein paar Dorfbewohner singen zur Ukulele fröhliche Inselsongs. Man fühlt sich hier weit weg von der Welt, weit weg von westlichen Problemen und den Sorgen zu Hause.

Die Zeit mit dem Herzen wahrzunehmen ist hier ein Leichtes.

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Für Tipps und Tricks zum Reisen nach Banda klick hier.

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