Zwischen Porto Novo und Vila Nova de Milfontes gibt es keinen Millimeter Schatten. Erbarmungslos brennt die Sonne auf mich nieder, während sich in meinen Schuhen unter den Zehen Sandberge vom Umfang der Alpen bilden. Wandern am Strand – wer hat sich das eigentlich ausgedacht? Ich bin bei Weitem nicht die Einzige, die dachte diese Wanderung sei einfach – wenige Höhenmeter, kurze Etappen, vergleichsweise kurze Gesamtstrecke. Aber das ist ein Irrtum. Die grandiose Kulisse der Rota Vincentina aus Klippen und Brandung, Wald und Strand muss man sich hart erkämpfen, durch tiefen, losen Sand, Klippe rauf, Klippe runter. Vor allem auf dem Weg nach Vila Nova, während man sich neidisch an den vielen Surfern durch den Sand kämpft, die scheinbar mühelos durchs Wasser gleiten. Ein befreundeter Surfer erzählte mir, er habe an der Costa Vincentina Wanderer gesehen und sich gewundert wer zum Teufel an diesem Strand wandern – und nicht surfen – wolle. Die Antwort lautet: ich!
Die Costa Vincentina ist voller Touristen, die die Gegend überwiegend mit Autos oder umgebauten Bussen erkunden. Heimisch sind hier nur wenige. Zum Beispiel die Fischer, die immer noch von meterhohen Klippen im Meer fischen und nach denen dieser Teil der Rota Vincentina benannt ist – der Fischerpfad.
Der Weg ist ergreifend schön. Alle drei Schritte möchte man ein Foto machen, aus jedem Blickwinkel erschließt sich ein weiteres, atemberaubendes Bild. Das Meer rauscht stetig, mal spült es an den Strand, mal braust es gegen die Steilklippen und so schreitet man bezaubert von der Natur durch niedrige Heidelandschaft und vielfältige Sukkulentenwiesen selig die Küste entlang. Diese unendliche Ruhe, die stete Bewegung, die wunderbar frische Luft! Mal geht es durch Gestrüpp, dass über und hinter einem zusammen schlägt, bergauf, bergab, durch Flussfurten, Treppen hoch, Leitern runter, vorbei an so mancher wehender portugiesischer Fahne, manchmal durch Matsch, meistens aber über Sand, mal grobkörnig, mal fein, immer in Sichtweite der Heidelandschaft, vorbei an struppigen Wäldern und grünen Feldern, vorbei an Burgen und Ruinen, und durch kleine Dörfer mit schiefen, weiß und blau getünchten Häuschen mit Terrassen und Blumen davor, die manchmal mit den typischen Azulejo Fließen verkleidet sind. Ab und zu kommt man vom Weg ab. Wie im Leben gehört auch hier das Verlaufen dazu. Zwischendurch kann man sich an einsamen Stränden erholen und etwas essen oder in den kühlen Atlantik springen. So liege ich manchmal am Strand und schaue den Surfern zu, die in der Sonne auf dem glitzernden Wasser sitzen und auf die richtige Welle warten. Die kleinen Städtchen in denen man auf dem Weg übernachtet, sind oft verschlafen, mit verwinkelten Gässchen und vielen Treppen, so wie Odeceixe. Über dem Städtchen thront eine alte Windmühle, die sogar noch genutzt wird und deren Flügel quietschend und gemächlich im Wind drehen. In Odeceixe ist es auch, wo wir einen gefühlt 200 Jahre alten portugiesischen Schäfer treffen, mit dem wir uns unterhalten. Er strahlt eine Ruhe aus, die nur Menschen innehaben, die ihr ganzes Leben in der Natur am Meer verbracht haben und lächelt uns breit mit seinem runzeligen, fast schwarz gebrannten Gesicht entgegen. Ich frage mich, wie sein Leben war und ist, was er über das Leben denkt, ob er zufrieden ist. Aber das von ihm zu erfahren, dafür reicht mein Portugiesisch leider nicht.
Bald führt der Weg durch Kieferwälder und einen fischlosen Kanal entlang, an dem die Stille nur durch das gelegentliche Platschen durchbrochen wird, ausgelöst durch den Sprung eines Frosches ins Wasser. Die Gegend ist sehr dünn besiedelt, selten trifft man Portugiesen auf dem Weg, nur selten andere Wanderer. Trifft man doch mal einen Portugiesen, so sind sie oft alt und unterhalten sich ungeachtet der Tatsache lebendig mit den Wanderern, auch wenn die noch so oft betonen, dass sie kein Wort Portugiesisch verstehen. Während ich so durch die Landschaft stapfe habe ich viel Zeit nachzudenken, über das was Wichtig ist im Leben und das was nicht wichtig ist, über Freude, Ziele, Liebe. Aber irgendetwas fehlt, es fühlt sich an als hätte meine Seele den Kontakt zu meinem Körper verloren. Ich weiß aber, ich muss nur weiterlaufen, dann finden sie schon wieder zueinander. Bald beginnen die Städtchen miteinander zu verschwimmen. In jedem süßen Örtchen überlege ich etwas länger zu bleiben, aber dann zieht es mich weiter und ich habe auch nicht unendlich viel Zeit. Irgendwo weit weg, gibt es noch das reale Leben, mit Beruf, Wohnung und Besitztümern.
So vergehen die Tage und bald schon bin ich auf dem Weg nach Carrapateira. Der Weg dorthin ist staubig und trocken. Sieben Monate hat es hier nicht geregnet, der Boden verzehrt sich nach Wasser wie ein Verdurstender in der Sahara. Auf und ab geht es durch vertrocknete Hügel, das Meer kommt hier nur einmal in Sicht und so merke ich, wie müde ich bin. Die Korkeichen am Wegesrand, ihrer wertvollen Rinde beraubt, sehen so seltsam entblößt aus, wie ich mich auf diesem Stück Weg verloren fühle.
Ich nehme eine Abkürzung um mir drei Kilometer zu sparen. Vor ein paar Jahren hätte ich mich nicht getraut vom Weg abzuweichen, jetzt denke ich mir: „Warum sollte ich eisern einem Weg folgen, den irgendein Anderer willkürlich festgelegt hat?“. Ein bisschen habe ich dennoch ein schlechtes Gewissen – mein Pflichtgefühl erwartet eigentlich von mir, dass ich mich an „die Regeln“ halte. Schon nach kurzer Strecke tauchen aber die vertrauten Wandermarkierungen wieder auf und ich lache in mich hinein. Man kann gar nicht vom Weg abweichen, der richtige Weg ist immer der, den man gerade geht.

Bald in Vila do Bispo stelle ich fest, dass die Portugiesen ihre Häuser am Liebsten bunt mögen, während ich in die Stadt rein humpele. Meine Beine sind sehr müde, ich bin das Laufen langsam leid und mein Fuß tut weh. Manchmal, wenn ich auftrete trifft mich ein stechender Schmerz in der rechten Ferse. Frustriert denke ich, dass ich wohl doch die falschen Schuhe mitgenommen habe, wenn ich durch die dünnen Sohlen große Steine auf dem Weg so deutlich spüre. Auch das Wetter dreht sich langsam, es ist deutlich kühler und die Wolken machen sich bereit für den Regen der am nächsten Tag kommen soll.

So schnell geht die Zeit vorbei, schon bin ich auf der letzten Etappe: Vila do Bispo nach Cabo do San Vincente. Schüchtern fängt es an zu regnen, so wie ein Freund an die Tür klopft, der sich allzu lange nicht hat blicken lassen, obwohl er wusste, dass er gebraucht wird. Und schnell hört das bisschen Plätschern wieder auf, ziehen sich die wenigen Tropfen wieder in die dunkle Wolke zurück, als ob sich der Besucher jetzt doch nicht traut einzutreten. Erst mit dem nächsten Regenschauer bricht der Himmel auf, fällt das lang ersehnte Regenwasser in langen und kräftigen Strömen von oben auf die verdorrte Erde. Es macht ein Geräusch das wie ein Aufatmen des Bodens klingt, ein seufzend ausgesprochenes “endlich”, dass das lang ersehnte Wasser willkommen heißt. Ich könnte mich ärgern. Aber ich tue es nicht. Es wäre allzu egoistisch, kann ich doch förmlich sehen wie sehr die Natur die Ankunft des Regens genießt, wie fröhlich der lang vermisste Freund willkommen geheißen wird. Und in diesem Moment, im Regen auf den steinigen, roten Klippen kurz vor Cabo do San Vincente bricht plötzlich etwas in mir auf. Oben auf diesen roten Klippen finde ich endlich wieder ein Gefühl von Inspiration. Mein Herz öffnete sich wieder für das Leben, als hätte ich einen Regentanz für meine Seele vollführt. So vertieft in meine Euphorie wäre ich fast an einem atemberaubenden Blick auf die roten Klippen kurz vorm Kap vorbei gelaufen, doch dann trat ich zwei, drei Schritte nach links und plötzlich tat sich diese unfassbare Kulisse vor mir auf. Ist es nicht immer so im Leben, dass man das Schöne verpasst, wenn man nicht mal ein paar Schritte vom Weg abweicht? Ich verweile eine Weile, und genieße den Ausblick. Als ich weiter gehen will ist da plötzlich wieder dieser stechende Schmerz im Fuß. Jetzt erst, nach drei Tagen Schmerzen, komme ich auf die Idee den Schuh auszuziehen und mir die Sohle anzuschauen. Da hat sich ein spitzer Stein soweit in die Sohle gebohrt, dass die Spitze fast innen raus kuckt. Lächelnd ziehe ich den Übeltäter aus der Sohle. Man kann sich eben selbst Vorwürfe machen und den stechenden Schmerz ignorieren, oder man dreht den Schuh um, und puhlt den Stein raus.

Wenn ihr nun Lust habt die Rota Vincentina auch zu wandern findet ihr hier Tipps und hier eine Liste von günstigen Unterkünften. Es lohnt sich die Wanderung mit einem Trip ins wunderschöne Lissabon zu kombinieren (zur Reisegeschichte geht’s hier). Lust auf Wandern aber in Portugal warst du schon? Dann ist Spanien oder Italien vielleicht was für dich.
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wow, superschön
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Dankeschön! 🙂
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