Venedig an Tagen wie diesen
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Wir parken in einem Vorort und fahren mit dem Bus auf die Inseln. Wir sind die einzigen Touristen in diesem Bus und man beäugt uns mit augenscheinlich gemischten Gefühlen. Normalerweise ist der Bus bestimmt voll von “uns”. Aber nichts ist normal zurzeit. Während der Bus über die lange Brücke auf die Insel fährt, steigt in mir die vorfreudige Erregung. Endlich Venedig, wie lange wollte ich schon hierher? Ich erinnere mich nicht, wann ich das erste Mal von der Stadt hörte, sicherlich als Kind. Auf dem Weg zum Wasserbus, dem Vaporeto, erkenne ich, dass es sehr klug gewesen wäre einen Reiserucksack zu nehmen, statt eines Rollkoffers. Es gilt die ersten bestuften Brücken zu erklimmen und die Haltestelle zu finden, es werden noch einige Brücken und Treppen zu bewältigen sein, bis wir im Hotel sind. Nach einigem Hin und Her sind wir endlich auf dem richtigen Vaporeto. Die Fähre ist voller Menschen in Masken und wir knattern durch die Nacht, vorbei an menschenleeren Flaniermeilen durch den Canal Grande. Die wunderschön verzierten, angestrahlten Palazzi liegen still in der Nacht, die Prinzessin schläft. Es riecht nach Meer und der laue Sommerwind streift über die Haut, ein Gefühl von Glück. So weit draußen im Meer, haben sich die Venezianer ihre Stadt gebaut, warum eigentlich? Während ich vorbei fliege denke ich daran wie dieses herzliche Volk, dass die Schönheit kennt wie kein anderes, von dieser Pandemie so schwer gebeutelt wurde und es treibt mir die Tränen in die Augen. Hunderte leere Gondeln schwappen im Kanalwasser auf und ab, der Gondole-Stand ist geschlossen. Das Bild hat etwas von einem Apokalypse-Film. Kleinere leerstehende Kreuzfahrtschiffe liegen im Kanal vor Anker und ein Yachtwrack ragt aus dem Meer. Die Venezianer um mich herum sind bestürzt, die Stimmung ist emotional geladen, Köpfe werden geschüttelt und aufgeregt in Richtung des Wrackes gestikuliert, aber ich verstehe leider nicht was passiert ist. An der leeren Piazza San Marco hieven wir schließlich unsere Koffer vom Boot auf den jahrhundertealten Stein und suchen uns unseren Weg durch das Labyrinth aus Gassen und Kanälen.

Wir legen nur kurz im Hotel ab – einem wundervoll restaurierten Palazzo aus dem 14. Jahrhundert, in dem wir uns unter normalen Umständen wohl kein Zimmer hätten leisten können – und schlendern sofort zum Markusplatz. Ein paar verstreute Touristen machen Fotos davon wie sich die Basilika di San Marco in den Pfützen der Piazza spiegelt. Ein begnadeter Pianist spielt auf einem weißen Flügel so leidenschaftlich für die wenigen, die sich in den überteuerten Bars am Rande einen späten Aperitivo gönnen, als wären die üblichen Menschenmassen zu Gast. Die Atmosphäre ist so gefühlvoll aufgeladen, die Spiegelung des Mondlichts im Wasser, die Klaviermusik, die andächtige Ruhe mit der die wenigen Touristen den Anblick der architektonischen Meisterwerke genießen, es hat etwas von einer Meditation. Als der Pianist dann Liszt´s Liebestraum Nummer drei spielt, geht mir das Herz auf und die Tränen fließen. Ein Gefühl der vorsichtigen Leichtigkeit breitet sich in mir aus. Es ist keine Stimmung der grenzenlosen Freude, sondern eher ein überwältigender Genussmoment, so als würde das Universum mir zuflüstern: Genieße den Moment und sei dankbar, sei dankbar, sei dankbar, genieße das Geschenk, das Venedig ist, wie schön es ist zu reisen und jetzt hier sein zu können. So fühlt es sich also an in Venedig zu sein!

Am nächsten Morgen frühstücken wir auf der Piazza di San Marco. Zu den Preisen kann man anderswo zu viert Abendessen, aber man lebt nur einmal. Die Möwen wie Tauben kreisen über dem Platz und versuchen den Touristen ihr Frühstück zu entreißen, manchmal gelingt es. Auch die Vögel merken sicherlich den Einbruch des Tourismus der Stadt. Normalerweise besichtigen im Jahr etwa 28 bis 32 Millionen Besucher die 50.000 Einwohner umfassende Kleinstadt. In diesem Jahr werden es “nur” etwa 2 bis 4 Millionen Menschen sein. Diese Stadt ist der leibhaftige Tourismus, die Auswirkungen kann ich mir nicht einmal vorstellen. Einen ganzen Tag lang lassen wir uns einfach durch die unzähligen kleinen Gassen – manche kaum breiter als man selbst – über hunderte kleine Marmorbrücken und vorbei an tausenden Restaurants und Läden treiben. Wir schauen uns die Basilika di San Marco mit ihren unbeschreiblichen goldenen Fresken und bunten Bodenmosaiken an. Auch zur Rialtobrücke kommen wir und können ohne groß anzustehen Fotos von der Brücke machen – etwas, dass unter normalen Umständen undenkbar wäre. Dennoch kommt es uns auf der Rialtobrücke schon voll vor. Abends spazieren wir am Canal Grande entlang ins Viertel Castello, wo wir uns einen Spritz im Abend-Sonnenschein gönnen. Venedig wirkt auf uns tiefenentspannt und laid-back, man spürt, dass die Stadt aufatmet. Die Zwangspause mag wirtschaftlich nachteilig sein, aber für das Lebensgefühl jetzt, nach dem Lock-Down ist es sicherlich förderlich. Einmal haben die Venezianer ihre Stadt nochmal fast für sich. Einmal tief Luft holen vor dem nächsten Ansturm. Zigarette zu Ende rauchen und Aperitivo austrinken, bevor wieder Millionen Reisende herzlichst empfangen werden wollen.

Am nächsten Tag erscheint uns die Stadt schon ein wenig voller. Gefühlt werden es stündlich mehr Besucher. Es sind vor allem Deutsche und Österreicher und obwohl es mehr werden hat man doch das Gefühl, dass man ständig dieselben Leute wiedersieht. Wir schlendern morgens direkt in eine Richtung, in der wir bisher noch gar nicht waren – die Inseln sind doch größer als man denkt – und suchen einen Gondel-Service.

Wir finden einen gut gelaunten Gondoliere mit dem schönen Spitznamen Pesciolino, das Goldfischlein. Er erzählt auf Nachfrage, dass sein Vater und Großvater schon Gondoliere waren und alle deren Brüder und auch seine Brüder. Er sei quasi fast ganz Venezianer, sein Vater habe seine Mutter in seiner Gondel kennen gelernt, sie stamme aus Zentralitalien. Und unter der Seufzerbrücke hätten sie sich verliebt. Wir gondeln durch die großen und kleinen Kanäle, unter der Rialtobrücke hindurch, und Pescolino grüßt alle und jeden fröhlich. Viele antworten freundlich und manchmal leicht amüsiert. Ich sehe nicht, dass die anderen Gondoliere das machen und denke wir haben wohl den bestgelauntesten Gondoliere Venedigs. Ich weiß wirklich nicht, ob es einfach seine Persönlichkeit ist, oder ob es zur Show gehört – es ist mir aber auch gleich. Es mag daran liegen dass wir eine große Runde gebucht haben, aber es scheint mir mehr sein Naturell zu sein. Er trägt das typische Outfit, blau weiß gestreiftes Shirt, einen flachen runden Hut und eine schwarze Hose. Neben dem plätschern des Wassers und dem dumpfen Stoß des Paddels begleitet uns Pescolino summend und singend. Zwischendurch erklärt er uns woran wir so vorbei gondeln. Wir sind erstaunt, dass so viel Verkehr ist und fragen uns wie man hier entspannt gondeln soll, wenn die normalen Touristenmassen auf die Kanäle drängen. Die Gondoliere und Bootführer müssen auch so schon ordentlich Tetris spielen, aber Pescolino kennt jeden Millimeter und weiß genau wo er das Boot ein bisschen neigen muss damit auch die Spitze noch unter der niedrigensten Brücke durch passt. Ich frage, ob auch er seine Frau in seiner Gondel kennen gelernt habe und etwas traurig verrät er, dass er Single sei, aber mit einer süßen Tochter. Auch an den Gondoliere gehen also die Schwierigkeiten des modernen Liebeslebens nicht spurlos vorbei. Seine Gondel habe mal den Namen seiner Exfreundin getragen, verrät er, aber jetzt habe er den Namen abgedeckt. Es sei nämlich so, dass man eine Gondel nicht umbenennen könne, das bringe Unglück. Sein Bruder habe seine Gondel nach der Mutter benannt, das sei schlau gewesen, denn der Name Mutter ändere sich nicht. Er lächelt. Ich erwidere, das sei doch alles kein Problem, er müsse jetzt nur eine Frau finden, die denselben Namen trägt wie seine Exfreundin und dann könne er zu ihr sagen “Schau an, wir sind füreinander gemacht meine Gondel heißt bereits nach dir”. Da lacht er und dann sind wir auch schon unter der Seufzerbrücke und müssen uns küssen, weil der Goldfisch das nun mal angeordnet hat.

Zurück auf der Insel beschließen wir andere Stadtteile als San Marco anzusehen und gehen zum Stadtteil Dorsoduro. Dort schlendern wir am Wasser mit Blick auf Giudecca, eine weitere Insel, lassen uns treiben, trinken unseren ersten Aperitif und planen den Tag. Eine Bootstour wollen wir abends machen und vorher laufen wir eine Runde zur Chiesa di San Giorgio Maggiore um deren Glockenturm für einen schönen Ausblick zu besteigen und weiter nach Giudecca bevor wir Francesco in Dorsoduro treffen. Der Einheimische führt uns auf einem kleinen Motorboot zusammen mit vier anderen Touris durch die weniger touristischen Kanäle der Stadt und wir lernen wie und warum die Venezianer diese Stadt so erbaut haben. Ich lerne auch, dass die Pfützen auf der Piazza, im denen ich am ersten Abend so wunderschöne Bilder der Basilika gemacht habe, nicht von Regenwasser stammen, sondern, dass es Meerwasser ist das nach oben drückt. Wir alle schweigen kurz bedrückt, keiner von uns möchte, dass diese Stadt untergeht. Nachdenklich beobachten wir danach den Sonnenuntergang vom Boot aus, bevor unsere Tour vorbei ist.

An unserem letzten Tag in Venezia lernen wir eine ganz andere Seite der Inseln kennen. Zunächst setzen wir nach Murano über, sind allerdings von den vielen kleinen Glasverkaufsläden nicht allzu sehr eingenommen. Mit einem unglaublichen Strom an Menschen pendeln wir also weiter nach Burano, wo wir kaum einen Sitzplatz zum Essen finden. Burano ist zwar eine wunderschöne kleine ehemalige Fischerinsel mit buntbemalten Häusern, aber die ganze gerade durch Europa reisende Tourihorde scheint hier auf einmal eingefallen zu sein. Wir wissen jetzt, warum uns Pesciolino empfohlen hat morgens nach Burano zu fahren. Als wir schon kurz davor sind unsere Entscheidung zu bereuen treffen wir Fillipo, einen einheimischen Burani. Er wird uns mit Kanus um die Inseln Burano, Mazzorbo und Torcello führen. Ich bin etwas nervös, bin ich doch bislang nur einmal Kanu gefahren und das endete mit viel Gelächter und einer sehr nassen Teresa. Aber Filippo, der fast täglich paddelt, versichert mir es werde ganz leicht werden. Nach dem ich zunächst sehr kämpfe, da jede Kurve ein unüberwindbares Hindernis scheint und das Meer am Kanu rüttelt, biegen wir in die unbefahrenen Kanäle ein. Bald bietet sich hier ein völlig ungeahntes Bild: Weite flache Landschaften einer Art bewachsenen Wattbodens, der auch teilweise vom Meer überflutet wird. Ein bisschen erinnert es an eine schottische Heidelandschaft, die Kanäle bilden Seen und man hat das Gefühl man ist irgendwo ganz anders – jedenfalls aber nicht in Venezien auf dem Meer.

Das Wasser ist so flach, dass man den Boden berühren kann und alte Fischer gehen hier ungestört ihrem Handwerk nach. Es herrscht hier absolute Stille, nur das Eintauchen unserer Paddel stört den Rhythmus der Grillen. Es scheint unmöglich, aber die Landschaft auf der Venedig erbaut wurde ist mindestens genauso schön, wie die Stadt selbst. Wir gleiten vorbei an dem angeblichen Thron des Attila auf Torcello und an dem Hotel in dem einst Hemmingway lebte, der die Insel geliebt haben soll. Italiener auf ihren Motorbooten an denen wir vorbei paddeln grüßen uns freundlich, die Stimmung ist ausgelassen und tiefenentspannt. Hier und jetzt hat man nicht das Gefühl, dass dieses Land gerade eine schwere Pandemie durchgemacht hat. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist, aber ich genieße es. Völlig fertig kommen wir wieder auf Burano an und Filippo insistiert, er müsse uns noch zeigen wie man Aperol Spritz eigentlich wirklich zubereitet. Der Aperitiv ist nämlich eine venizianische Erfindung. Und so trinken wir, während wir über Gott, die Welt und Corona reden, die ganze Flasche Weißwein aus.
Quick Tipps:
- Außerhalb parken, um nicht 30 Euro die Nacht zu zahlen. Am günstigsten sind u.a. die Parkhäuser Venice City Parking (unbedingt so früh wie möglich vorher online reservieren!) und die Parkhäuser im Stadtteil Mestre. Die Parkhäuser sind extrem gut angebunden an die öffentlichen Verkehrsmittel.
- Mit dem Vaporetto Linie 1 eine kleine (und kostengünstige) Stadtrundfahrt machen.
- Die Hop on Hop off Boote zu den weiter entfernten Inseln nutzen.
- Burano und Murano früh morgens besuchen.
- Kanutour von Burano aus mit Filippo machen und/oder Bootstour mit Francesco.
- Pizza (am besten Diavola) und Zitronentarte in der Trattoria Conca D’Oro nahe dem Markusplatz essen.
- Mit Pescolino durch die Stadt gondeln. Hier findet ihr seinen Gondelstand.
- Gegen Abend einen Aperitif trinken in Giudecca mit Blick auf Dorsoduro beispielsweise bei der Vaporetto-Haltestelle Zitelle.
- Einen Spaziergang nach und durch Castello machen.
- Den Campanile di San Giorgio Maggiore für eine tolle Aussicht über die Stadt besteigen, anstatt am Campanile San Marco am Markusplatz anzustehen.
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