Der Berg ist extrem steil und etwa die ersten 3 Kilometer bestehen aus groben Steinen, die das laufen nicht eben erleichtern. Sobald wir im Wald sind ist es, als wären wir durch die geheime Tür nach Narnia gelangt. Der kleine Waldweg zum Dort ist dicht gesäumt von unbekannten Bäumen und riesigen Bambussträuchern. Über uns in den Baumwipfeln tümmeln sich zahlreiche Vögel, Affen und andere Tiere – wir hören sie nur, zu sehen bekommen wir keines. Ein lustiger Vogel macht immer wieder dieselben Computergeräusche. Es würde uns nicht wundern, wenn wir um die Ecke kämen und plötzlich ein alter Desktop-PC mit Lautsprechern mitten auf dem Weg stünde. Am Wegesrand sehen wir immer wieder größere Haufen von etwas das aussieht wie meterdicke Bündel ewiglanger, dunkler Tierhaare und wir fragen uns, was für Tiere hier in den Bäumen rumspringen, die solche langen Haare haben. Ab sofort schauen wir uns etwas wachsamer um. Und plötzlich teilen sich die Baumwipfel und der Blick auf Wae Rebo ist frei gegeben: Zylindrige Hütten erheben sich auf einer kleinen Lichtung aus dem Nebel, umgeben von nichts außer Wald und Bergen. Der Anblick ist fremd und wunderschön.
Im Dorf angekommen nehmen wir zuerst an der Begrüßungszeremonie teil. Die Bewohner des traditionellen Ngada Dorfes glauben, dass auch ihre Vorfahren immer noch mit ihnen im Dorf wohnen. Die christliche Missionierung hat sich da scheinbar nur in Vornamen niedergeschlagen – die Wae Reboer haben ausnahmslos christliche Vornamen wie Maria, Benjamin und Josef. Um sie durch unsere Anwesenheit nicht zu verärgern, geben wir, wie uns das aufgetragen wurde, der Frau vom “Häuptling” (dem Dorfältesten), die ich insgeheim Gutemine nenne, die aber eigentlich Katharina heißt, etwas Geld für die Geister. Sie stellt uns den Geistern vor und erläutert was die Besucher – also wir – im Dorf so vorhaben. Offensichtlich haben wir vor, was alle hier machen, denn sie trifft mit ihrer Ankündigung den Nagel auf den Kopf: Wir wollen Kaffee trinken, essen, rumlaufen und fotografieren. Anschließend bittet sie die Geister darum, sich durch uns nicht stören zu lassen. Na das ist zweifellos in unserem Interesse. Wir nicken wiederholt freundlich und ich fühle mich ein bisschen wie betäubt. Irgendwie ein irres Gefühl in dieser Hütte zu sitzen, in der eine alte runzlige Frau todernst mit den Geistern spricht, als wär da absolut nichts dabei. Wir sprechen nur leise um die Geister nicht zu ärgern und bewegen uns vorsichtig durchs Dorf. Die runden, spitzen Hütten, die ohne einen Nagel zusammen gehalten werden und nur aus Bambus und Palmblättern bestehen, sehen aus wie aus einem Dokumentarfilm.
Die Bündel von “Haaren”, über die wir uns auf dem Weg hoch gewundert haben, sind die Palmblätter, die für die Dächer benutzt werden. Ich bin ein bisschen erleichtert, dass es hier nicht so viele Tiere mit derart langen Haaren gibt, auch wenn ich mir wirklich nicht erklären kann, wie aus Blättern solche haarartigen langen Fäden werden. In der Wohnhütte für Besucher sind innen entlang des Daches Bastmatten ausgelegt. Auf diesen schläft man, wenn man hier übernachtet. Erschöpft lassen wir uns auf die Matten sinken und es wird uns selbst hergestellter Kaffee angeboten. Aber die Bastmatten sind überraschend bequem und Timo schläft sofort ein. In der Zwischenzeit lerne ich eine supernette Singapurianische Familie kennen, die ausweislich der Berichte des Vaters ungefähr alles an der einen Nacht in Wae Rebo – die Ruhe, das Duschwasser, den Kaffee – “quite something” fanden, wie uns der indischstämmige Vater begeistert erklärt. Wie den Geistern angekündigt schießen wir jede Menge Fotos und machen ein paar kurze Videos.
Das die meisten Menschen, die hier rumsitzen, nicht wirklich in diesem Dorf wohnen, sondern frühmorgens den weiten Weg auf den Berg steigen stört uns nicht. Die alten Frauen mit den runzligen, zahnlosen und vom Betelnuss kauen roten Mündern wohnen ganz offensichtlich noch hier. Sie sind nicht so begeistert über die Touristen, auch das ist offensichtlich. Sie gehen einfach Ihren Tagesgeschäften nach, trocknen auf ausgebreiteten Tüchern Kaffee in der Sonne oder waschen Wäsche. Die Kinder spielen Fangen, ein Junge heißt “Selfie” was mich sehr amüsiert. Ich kann nicht umhin zu denken, dass diese Kinder wohl eine glücklichere, ungestörtere Kindheit haben als viele westliche Kinder heutzutage. Aber zu Hause würde man sagen: “Aber sie haben doch keine Möglichkeiten dort, keine Schule, keine Perspektive”. Aber wofür braucht man Perspektive wenn man schon glücklich ist? Vermutlich nur deshalb weil die Modernisierung nirgendwo halt machen wird – auch nicht vor Wae Rebo, UNESCO hin oder her – und diese Ruhe nicht für die Ewigkeit bestimmt ist, vermutlich nur deshalb müssen auch diese Kinder die Bildung, die wir kennen, erhalten. Wohl deshalb gehen auch sie unten im Dorf in die Schule.
Auf dem Weg runter nach Dengge ist auf dem Berg ganz schön viel Verkehr. Kleine Jungs mit Schulrucksäcken auf dem Rücken oder Säcken Reis auf dem Kopf strömen in Scharen in schnellen Schrittes den Berg hoch. Die Kinder sind fit! Hier hat keiner Gewichtsprobleme. Die Mädchen tragen an den Füßen zusammen gebundene lebende Hühner Kopf über den Berg hoch, manche Jungs tragen Messer, die fast größer sind als sie selbst – weiß Gott wozu. Die Kinder freuen sich uns zu sehen und so gehen wir beschwingt mal durch Nebel mal im Sonnenschein durch den Wald den Weg herunter.
Route: Ruteng – Iteng (ausgeschildert) – Dintor (Wae Rebo Lodge) – Denge (Homestay Mr. Blasius) – Zu Fuß nach Wae Rebo (ausgeschildert) mindestens 2,5 h ein Weg (8 Km)