Ende Januar habe ich meine Sachen gepackt und auf ging’s zu einer Konferenz nach Mailand. Da ich schon lange nicht mehr da war, hab ich mir vorher einen Tag frei genommen, um ein bisschen die Stadt (wieder) zu entdecken und la dolce vita zu genießen. Was gibt es schöneres als einen freien Donnerstag?
Vor sechs Jahren war ich das letzte Mal in Milano, damals bin ich allerdings nur kurz am Hauptbahnhof umgestiegen. Trotzdem war es der Beginn meiner wundervollen Reise auf der Via Francigena, an die ich mich nun zurückerinnerte (hier nachzulesen). Was ist nicht alles passiert in diesen sechs Jahren! Die Zeit damals auf dem italienischen Camino war so wundervoll, ich habe damals die Italiener, ihr Land und ihre Kultur tief in mein Herz geschlossen. Und so schlenderte ich bestens gelaunt gegen elf Uhr auf der Suche nach einer brioche con chiocolatte (einem italienischen Schokocrossaint) durch die Straßen von Mailand Richtung piazza del duomo. Leider – und das hatte ich schon befürchtet – ist kurz vor Mittag etwas spät für eine Brioche, denn überall waren sie schon ausverkauft. Aber nichts konnte meine Laune trüben und als mein Spazierweg mich auf die Via Allessandro Manzini führte, fand ich dort neben zahlreichen Luxusgeschäften auch eine echte italienische Bar, komplett mit absolut überwältigender Süßkramauslage. Ich nahm Abschied von meinen Neujahrsvorsätze weniger Zucker zu mir zu nehmen und begrüßte zwei Creme- und Schokoladegefüllte Teigröllchen. Man lebt schließlich nur einmal! Und wie soll man da auch widerstehen? Italien ist für Naschkatzen was die Opiumhöhle für Heroinjunkies – nur der richtig gute Stoff in jeder zweiten Fensterauslage. 😉
Derart cremeröllchengestärkt setzte ich meinen Weg fort und kam zufällig durch das bezaubernd, überdachte Einkaufsquartier „Galeria Vittorio Emmanuele“, mit Marmornen, gemusterten Fußböden und hohen Torbögen. Magnifizi! Die Ladenüberschriften lesen sich wie das who-is-who der Modebranche – Prada, Armani und Gucci haben ihre Mütterhäuser in Mailand. Statt zu überteuerten Portemonnaies zog es mich allerdings erstmal in den Untergrund. In der Metrostation am Mailänder Dom gibt es Galerierestkarten für die Scala zu erwerben, das wollte ich mir nicht entgehen lassen. Ich glaube sie verstecken den Ticketschalter extra gut, damit nicht zu viele Touristen ihn finden. Aber anders als z.Bsp bei der MET musste ich hier nicht zweieinhalb Stunden anstehen um am Ende so weit hinten zu stehen, dass man kaum die Opernsänger sieht. Nein, ich konnte direkt eine Karte erwerben und dies sogar mit Sitzplatz. Fantastico!
Derart opernkartenbeschwingt fühlte ich mich trotz Schlafmangels fit genug, die 200 Stufen auf die Terrasse des Doms auf mich zu nehmen. Vorher habe ich natürlich einen Rundgang durch die heiligen Hallen gemacht. War schließlich schon 16 Jahre her, dass ich das letzte Mal da drinnen war. Innen wird man wie so oft von Fresken, Wandfiguren und Mausoleen geradezu überwältigt und ich frage mich bei solch einem Anblick immer, wie unendlich der Glaube derjenigen gewesen sein muss, die etwas derart Großartiges gebaut haben. Wenn man jedoch Gott als die Kraft sieht, die alles bewegt, dann ist er/sie in diesem Fall vielleicht auch einfach „nur“ die aus moderner Sicht fast nicht mehr nachvollziehbare Inspiration so ein gigantisches, tausendfach verziertes Gebäude zu bauen. Ohne Elektrotechnik oder moderne Kräne. Von der Terrasse des Doms hat man einen herrlichen Blick über die Stadt, mit der Mailänder Skyline hinter den feingliedrigen Dachfiguren der imposanten Kirche. Ich liebe ja diese Kombinationen aus alt und neu!
Im Untergeschoss des Duomo tummeln sich wie gewohnt die christlichen Reliquien. Da liegt ein seit fast 500 Jahren mumifizierter Heiliger und irgendwie schaffen die Italiener es immer, auf eine wohligwarme Art ihre Reliquien so gruselig und geheimnisvoll auszustellen, dass man sich immer fragt, was wohl dran ist. Irgendwie schaffen sie es aber auch immer, dass ich mich schön und glücklich fühle, nicht zum ersten Mal stellte ich mir vor, wie es wäre in Italien zu leben. Die Menschen sind so warm, so gastfreundlich, so herzlich, so authentisch und so gutmütig, es ist kaum zu ertragen.
Vor dem Besuch der Scala möchte ich mir noch die Beine vertreten und schlenderte die Via Manzani auf und ab. Es macht Spaß in die einzelnen Designergeschäfte zu gehen und sich umzusehen, sogar ein Outlet finde ich, nur will mir nichts recht gefallen. Ich beobachte lieber die Leute. Die Verkäuferinnen sprechen mittlerweile fließend Chinesisch, so viele Chinesen laufen hier rum, und an manchen Schaufenstern steht „Happy Chinese New Year“. In einem anderen Laden werde ich gefragt, ob ich Russisch spreche und später sehe ich auch Russische Reklame an Schaufenstern. Die Zielgruppen scheinen festzustehen.
Endlich in der Scala habe ich einen Platz auf der Galerie für das Ballett „Romeo e Giulietta“ ergattert. Die oberen Ränge sind gefüllt mit jungen Leuten, ich wundere mich erst, stelle aber später fest, dass dies Schulklassen zu sein scheinen. Auf den billigen Rängen ist es so eng, man merkt deutlich, dass diese Sitze in einem anderen Jahrhundert konzipiert wurden, als die Leute noch kleiner und dünner war. Heutzutage ist es in etwa so, als ob man versucht mit fünf Leuten in einer Dreierreihe in einem Tui-flugzeug zu sitzen. Da bekommt der Begriff „wie die Hühner auf der Stange“ eine bildliche Bedeutung. Aber ich will mich nicht beschweren. Als das Licht ausging verstummten die um die 2000 Besucher, ein paar Schulmädchen quatschten noch und wurden mehrfach zur Ruhe ermahnt. Wie gut sie es doch haben, dass sie in die Scala gehen können als Schulklasse, und hochbegabte Musiker hören und Tänzer sehen können und dann auch noch Romeo und Julia. Ich musste ja sowas wie die Leiden der Effie Briest unterirdisch inszeniert und gespielt am nächstgelegenen Kleinstadttheater ertragen. Ob die Schüler sich Ihres Glückes bewusst sind? Wohl kaum.
Nach der Oper nehme ich ein Taxi, weil ich mal gehört habe es sei so gefährlich am Mailänder Bahnhof und ich sonst dorthin die U-Bahn und von dort zum Hotel hätte laufen müssen. Mein Taxifahrer ist sehr nett, wir kommen über die Oper ins Gespräch, er fragt woher ich komme. Auf meine Antwort sagt er, Dresdens Geschichte sei so furchtbar. Es ist für mich immer wieder seltsam, dass viele Menschen meine Heimat mit nichts als mit unbarmherzigen britischen Bombardements verbinden. Und ich sage: Die Bilder von damals – so sieht es heute in Syrien aus. Im stillen denke ich: Es ist wieder ein Tag vergangen in dem wir in Frieden leben und wir wissen es nicht zu schätzen. Der Taxifahrer sagt er lese viel und schaue Oper und sowas, er brauche das, es nähre ihn. Ich denke das alles kommt heutzutage viel zu kurz, all das was die Seele nährt, vielleicht gerät deshalb gerade alles so aus dem Ruder? Weil wir jahrzehntelang unsere Seelen nicht genährt haben? Das Gespräch macht mich im Nachhinein sehr nachdenklich: Ich schwöre mir, dass ich mit 50 nicht wie der Taxifahrer sein werde: Jemand der anscheinend viel tut, worauf er keine Lust hat. Glücklich gehe ich ins Bett, dankbar für diesen wunderbaren Tag Urlaub und voller Eindrücke und neuer Ideen für das kommende Jahr.