Ist euch nicht auch manchmal langweilig vom Leben? Manchmal schaue ich mein Leben an und langweile mich wie beim Anblick eines trockenen Stückes Brot! Das sind die Momente, in denen ich Fernweh bekomme, in denen ich etwas Verrücktes machen möchte, in denen ich am liebsten sofort aufbrechen würde, ohne zu packen oder nur dürftig und den Hausschlüssel auf dem Küchentisch liegen lassend festen Schrittes zum Bahnhof schreiten will, um mich dort mit geschlossenen Augen in einen Zug zu setzen. Dann ist alles aufregender als meine Routine, dann ist es egal ob der Zug nach Paris fährt oder nach Castrop-Rauxel, Hauptsache Bewegung. Das sind die Momente in denen ich Bewegung im Raum suche, weil in mir selbst alles stehen geblieben ist, dabei ist Stillstand doch tödlich…
Immer zieht es mich hinaus in die Welt ich suche das Abenteuer, mich reizt das Leben, ich möchte fremde Kulturen erleben, und sei es eine so „nahe“ wie die italienische, ich möchte sie hören, sehen, fühlen. Ich möchte versuchen ihre Sprache zu sprechen und von ihren Speisen kosten während ich ihren Wind auf der Haut spüre, heimlich und unbemerkt, wie Schneewittchen bei den sieben Zwergen. Als kleines Mädchen war es mein größter Wunsch einen amerikanischen Ureinwohner zu heiraten. Erstens weil ich die schönen langen schwarzen Haare schön fand (für schwarze Haare habe ich noch heute einen Faible), aber zweitens bis fünfzigstens, weil ich dann mit meinem Mann auf unseren wilden Pferden durch die Prärie reiten könnte, mal hier, mal dort unser Tipi aufschlagend, immer rastlos. Verrückt oder? Naja dieses kleine Mädchen in mir das hat mich diesmal nach Italien auf den Frankenweg – italienisch “Via Francigena” – getrieben.
Die Via Francigena ist der antike Pilgerweg von Canterbury über Lausanne nach Rom. Anders als der Jakobsweg ist diese Route noch nicht bzw. nicht mehr besonders bekannt, was einige Vor- aber auch Nachteile mit sich bringt. So verläuft die Strecke teilweise noch auf Straßen, manchmal auch auf Schnellstraßen, sogenannten Superstradas, auch wenn die Italiener dabei sind für die Pilger Alternativstrecken zu finden, die ungefährlicher sind. Auch gibt es sehr wenige Pilgerherbergen, man übernachtet stattdessen fast ausschließlich in Klöstern und sogenannten Parrochias, was ich mal mit Gemeindehaus übersetze, auch wenn es das nicht so richtig trifft. Viele Leute denen man begegnet kennen den Weg nicht und wundern sich, was man macht, so mitten in der italienischen Pampa mit einem Stock und einem großen Rucksack, sie schauen fragend, schütteln mit dem Kopf und man sieht das “seltsame Touristen” ihrer Gedanken förmlich auf ihrer Stirn geschrieben stehen. Andererseits trifft man auf dem Frankenweg keine Tourigrinos – Pilgertouristen, die das alles nur als eine große Party- und Sportstrecke sehen, von denen es in Spanien Massen gibt, weshalb die Spanier diesen Schimpfbegriff eingeführt haben. Die Menschen denen man begegnet, die vom Weg wissen reagieren deshalb oft übermäßig beeindruckt, so dass ich jedenfalls oft schon peinlich berührt war (in San Quirico meinte ein junger Designer aus Mailand zu mir “it’s an honour to meet you and watch soccer here with you”) und oft laden einen Italiener die am Wegesrand wohnen auf ein Glas Wein, Limo, Käse oder Kekse zu sich ein.
So war das in Spanien damals nicht. Ja, oft habe ich an den Jakobsweg gedacht auf dieser Reise. Irgendwie glichen sich die beiden Reisen, aber irgendwie waren sie auch sehr verschieden. Mit jedem Schritt auf italienischem Boden schien ich einen spanischen Schritt wieder zu erleben, ja wieder zu beleben, und dennoch….mit dem Jakobsweg habe ich etwas abgeschlossen. Auf der Via Francigena habe ich einen neuen Lebensabschnitt angefangen!
So habe ich denn auch diesmal genau die richtigen Leute getroffen. Mehrere Tage war ich Teil einer sehr skurrilen Gruppe bestehend aus einem 30-jährigen niederländischen Marathonläufer namens Egbert, einem 75-jährigen schwäbischem Rentner namens Wolfgang (Egbert und ich nennen ihn liebevoll Wolfie) und mir. Wir sind nicht viel wirklich gemeinsam gelaufen, irgendwie hatte doch jeder seine eigene Geschwindigkeit und nicht nur das- auch seine eigene Geschichte. Aber ich habe doch genau die richtigen Gespräche mit Egbert geführt, darüber was eine Berufung von einem Beruf unterscheidet, darüber was glücklich macht und was nicht, über Gefühle, Hindernisse im Leben und Gott und die Welt. In den Klöstern in denen ich oft allein oder mit „der Crew“ übernachtet habe wurde einem – anfangs sozusagen zwangsweise – Ruhe verordnet. Bei Nachtruhe teilweise ab 20 Uhr ist der wache Teil des Tages schnell vorüber…und liegt man erst im Bett so ist man doch zu müde um zu lesen, so dass ich Heines „Reise nach Italien“ trotz der wenigen Seiten noch immer nicht gelesen habe. Manchmal war es dort gruselig abends, allein zwischen riesigen meterdicken kalten Mauern, in einem jahrhundertealten Gebäudekomplex, ehemals von 800 Mönchen bewohnt, jetzt nur noch mit drei dauerhaften Bewohnern. Manchmal war es auch einsam dort abends, aber nicht auf eine schmerzhafte Weise, sondern auf eine Art, bei der man sich selbst wieder findet, weil sonst niemand im Raum ist und man ganz auf seine eigenen Gedanken angewiesen ist. Man lernt so wieder was Intuition ist, man lernt auf seinen Körper zu hören und noch viel mehr auf den eigenen Geist, wann sagt die Seele: „Es reicht!“? Wann sagt der Körper: „Ich will mich bewegen!”?
Auf dem Weg begegnete ich aber nicht nur dem wahnsinnig gastfreundlichen italienischen Volk und Pilgern aller Herrenländer, sondern auch Tieren. Wenn man so in der Stadt lebt wie ich, dann hat man im Alltag keinen Kontakt mehr zu Tieren. Sicher, meine Eltern haben einen Hund, aber wie oft bin ich da schon? Der einzige tierische Kontakt neben der gelegentlich gesichteten Taube oder den Enten hier im Volksgarten, beides eher nervig als erquickend, pflege ich zu Berta, der kleinen Beagle-Hündin von Freunden von mir. Irgendwie ist das doch unnatürlich! Man vergisst völlig, wie anders diese Lebewesen leben. Man fängt an über Tiere denen man auf dem Weg begegnet nachzudenken, ich habe Ameisen voller Begeisterung beobachtet (ich, die Insektenhasserin!), bin an erstaunten Pferden im Regen vorbei gejoggt und musste mir den Weg durch Eselsgehege bahnen. Ich habe endlich mal wieder meine Umgebung wahr genommen, genossen, beobachtet. Auch die Italiener zum Beispiel. Mir wurde vor Augen geführt, was für eine grandiose, reiche Vergangenheit Italien hinter sich hat! Das italienische Volk ist ein Volk der Kunst und Schönheit, wie die Deutschen Dichter und Denker…der Italiener an sich liebt die Skulptur und stellt sich gerne, sobald er es sich leisten kann, einen Miniaturdavid in den Vorgarten, wie der kleinkarierte Deutsche sich in größter Selbstverständlichkeit einen Gartenzwergbatallion in den Schrebergarten pflanzt. Und überall sähe es albern aus, aber irgendwie versteht der Italiener wie man den David hinstellen muss, damit es nicht aussieht, als ob der Vorgartenbesitzer damit irgendeinen Komplex auszugleichen suche. Belissima! Umso verwunderlicher, dass die alternden Italiener gerade in der wunderschönen Toskana, in diesen malerischen kleinen mittelalterlichen Hügelstädtchen aus den dunklen, tiefschwarzen Hauseingängen mit alten Steintreppen, die immer entweder steil nach oben oder steil nach unten führen, wie aus Löchern in der Früh herauskriechen, so jahrhundertealt, so antiquiert, so abgewrackt sind diese alten kleinen Häuschen auf dem Land, dass man sich wundert wie der den Schöngeist liebende Italiener es dort aushält.

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